Freitag, 23. März 2012

Mein Leseprozess beginnt...

Ich habe nun damit begonnen, die erste Szene von Goethes "Faust" zu lesen.
Darin gibt der Autor Auskunft über seinen Schreibprozess des neu entstandenen Werkes, indem er auf eine Phase der Schreibblockade und dessen Aufflösung eingeht. Nebenbei erfährt man aber auch einiges zu seiner eigenen Einschätzung des Werks und damit auch zu einigen Gedanken Goethes über sich selbst.
Mein erster Eindruck von dem autobiografischen Vorwort des Autors mit dem Titel "Zueignung" setzt sich aus verschiedenen Gedanken zusammen:
Ich empfinde Goethes Gedanken einerseits als Anregung, mit dem Werk zu beginnen, da er verdeutlicht, sich sehr ausführlich und persönlich mit der Handlung, besonders aber mit den Figuren des Dramas auseinandergesetzt zu haben ("Ihr drängt euch zu! nun gut, so mögt ihr walten", V.5) und da die Arbeit an "Faust" auf Goethe selbst positive Auswirkungen gehabt zu haben scheint ("Mein Busen fühlt sich jugendlich erschüttert",V.7).
Aber ich muss auch zugeben, dass ich es eher als "hereingesteigert" wahrnehme, wenn ein Dichter sein Leben von einem unvollendeten Drama derart abhängig macht ("Ein Schauer fasst mich, Träne folgt den Tränen",V. 29).
Vielleicht entsteht das aber auch nur aus der Erfahrung heraus, dass es in der heutigen Zeit für einen Künstler und erst recht für einen Mann unpassend ist, seinen Emotionen derartigen Freiraum zu geben. Schließlich will auch ich beim Lesen Empfindungen, Mitgefühl mit den Figuren und die Wahrnehmung einer bestimmten Atmosphäre entwickeln. Wenn also nicht einmal der Autor von seinem Werk eingenommen wird, wie sollte es so der Leser werden?
Schlussendlich stellt sich mir aber dennoch die Frage, ob es sich hierbei wirklich um eine autobiografische Reflexion handelt, da die Reaktionen des Dichters auf die Wiederkehr seiner Gedanken zum weiteren Verlauf der Handlung doch sehr überzogen erscheinen und ich stelle mir die Frage, ob er vielleicht einfach genau das erreichen wollte, was sich in meinen Eindruck immer wieder zeigt: Eine geeignete Exposition schaffen, von der aus der Leser mit Begeisterung sein Drama zu lesen beginnt und vor dem Hintergrund von Goethes Empfindungen auch selbst stärker an der Tragödie teilnimmt.
Nach dieser Szene bleibt mir nur zu hoffen, dass mich das Drama nach dieser Einführung nicht enttäuscht und das ich mich wirklich, wie auch Goethe, in die Tragödie hineindenken kann!







3 Kommentare:

  1. Und? Wurden Sie nach der weiteren Lektüre von dem Drama enttäuscht?

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    1. Verglichen mit Goethes starkem Identifikationspotential mit den Charakteren der Lektüre bin ich noch immer von dem Drama relativ unbeeidruckt!
      Positive Entwicklungen sind, dass ich mich zunehmend für das behandelte Thema des Zwiespalts zwischen Vernunft und Hingabe, wie auch für Fausts inneren Konflikt bezüglich Erkenntnis (dem Wahren) und der Magie (dem Geheimnisvollen, Unerforschten) begeistern.
      Während mir die Sprache und die Motive des Dramas gefallen, sagt mir die Figur Faust jedoch gar nicht zu!
      Zum einen habe ich zu Beginn der Lektüre vor seinem ersten persönlichem Auftreten ein anderes Bild von ihm gehabt. Nach dem Gespräch des Herren mit Mephistopheles, habe ich gedacht, Faust wäre ein besonders tugendhafter, kluger und beherrschter Mann. Zwar wird deutlich, dass seine pessimistische, verzweifelte Haltung erst in der Szene "Nacht" zum Vorschein kommt, jedoch kann ich mich weder mit Faust identifizieren noch finde ich ihn symphatisch.
      Beim Lesen bin ich häufig von seinen wechselhaften Launen, seiner Selbstgefälligkeit und seinem Selbstmitleid genervt.
      Auch jetzt, wo er durch seine Liebe zu Gretchen neuen Lebensmut zu schöpfen scheint, kann ich mich auch da nicht im gewünschten Maße in seine Figur hineindenken, da seine Komplimente an Gretchen für mich, da sie wahrscheinlich einfach in der heutigen Zeit eine andere Wirkung erzielen, übertrieben zu sein scheinen und ihn besessen und einschmeichelnd wirken lassen ("Sich hinzugeben ganz und eine Wonne zu fühlen, die ewig sein muss! Ewig!- Ihr Ende würde Verzweiflung sein.",V.3191 ff).

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  2. Vielen Dank für die ausführliche Antwort. Außerdem würde mich noch einmal interessieren, warum Sie aus der Sicht "der Schülerin Christine" schreiben und nicht aus Ihrer eigenen Perspektive positive oder eben negative oder weniger ansprechende Inhalte kritisch beleuchten? Worin lage die Funktion, eine fiktive Schülerin sprechen zu lassen?

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